Platz am Fahrtor
Granit über Partikularinteressen
Dieser Teppich wird weder geknüpft, noch gewoben. Dieser Teppich wird versetzt - in ein elastisches Bett, das schwerlastfähig ist. Dieser Teppich soll aus Stein bestehen und nach dem Willen der Frankfurter CDU auf dem Platz vor dem Fahrtor ausgelegt werden. Oder besser: Das fragmentierte Areal zwischen Eisernem Steg und Haus Wertheym, zwischen Saalhof und Leonhardskirche soll zu einem erkennbaren Platz mit eigener Identität geeint werden. Mit einem Pflaster – durchaus im doppelten Sinne zu verstehen – aus kleinformatigem Granit, das über alle konkurrierenden, sich in Pollern, Markierungen und Materialwechseln manifestierenden Partikularinteressen aufgebracht wird. Nicht, um sie zu verdecken oder zu verniedlichen, sondern um einen Ausgleich zwischen ihnen zu erreichen. Und das an einem prominenten Ort. Denn hier wurden bis in das 19. Jahrhundert hinein die auf dem Main kommenden Besucher und Gäste der freien Reichsstadt Frankfurt empfangen und verabschiedet. Dieser Ort, der in hunderten Gemälden, Stichen und Ansichtskarten in Frankfurts kollektivem Gedächtnis verankert ist.
Das Verhältnis von Frankfurt zu dem Fluss, den es im Namen trägt, ist ein schwieriges. Noch in den siebziger Jahren war er einer der am stärksten verunreinigten Flüsse Europas. Und seine Ufer waren dem Autoverkehr und der Industrie vorbehalten. Es sind die nämlichen siebziger Jahre, in denen erste Konzepte entwickelt wurden, den Fluss der Stadt näherzubringen. Mit dem Museumsufer, das über alle Parteigrenzen in einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Verwaltung und Planern verwirklicht wurde, gelangte das Bemühen sogar in internationale Schlagzeilen. Dass die Wünsche und Planungen immer umfassender, tiefgreifender und hochtrabender waren als die Realisierungen, das ist nicht nur in Frankfurt so. Mit Wohnbebauungen wie Deutschherrenufer, Weseler Werft, dem gemischt genutzten Westhafen oder dem Hafenpark nahe der EZB wurden vorher nicht für möglich gehaltene Potentiale des Mainraums erschlossen. Und die vielfach entstandenen Gastronomien machten das Mainufer zu einem selbstverständlichen städtischen Lebensraum. Dass man das noch steigern könnte – etwa mit einem in das städtische Verkehrskonzept eingebundenen Wassertaxi -, steht außer Frage.
Marie-Theres Deutsch ist eine Architektin, die sich in diesen Diskussionen um den Main vielfach engagiert und attraktive Konzepte vorgelegt und realisiert hat. Auch die Vision einer halbstündigen Schiffsverbindung zwischen Niederräder und Deutschherrnbrücke zu Hauptverkehrszeiten stammt von ihr. Und sie hatte den Plan erarbeitet, den nun die CDU für das Fahrtor vorlegte. Dass sie damit ein höchst sensibles Terrain betritt, ist ihr bewusst. Aufgrund einer in der Frankfurter Innenstadt einmaligen Situation – die Nivellierung von Tiefkai und Hochufer am Main – trifft der Ost-West-Fahrzeugverkehr unvermittelt auf den Nord-Süd-Fußgängerverkehr. Was bei anderen Brücken entzerrt werden kann, kollidiert zwischen Eisernem Steg und Fahrtor auf engstem Raum. Dazu die berechtigten Interessen der Anlieger, der Hafenbahn und der beiden Reedereien, die den Steg jeweils mit Anlegestelle und Pavillon flankieren. Sollte an diesem Ort ein alle halbwegs zufriedenstellender Ausgleich der Interessen gelingen und sich darüber hinaus ein Platz, der trotz aller Verkehrsströme eine hohe Aufenthaltsqualität bietet, wäre das gleichsam das Königsstück der Mainuferbelebung.
Ambitioniert ist der Plan auf alle Fälle. Denn die bloße Sperrung des Mainkais für den Autoverkehr ohne weitere bauliche Maßnahmen führte zu einer polarisierenden Debatte und einer deutlichen Zunahme des Verkehrs am südlichen Mainufer. Der vorgeblich autonom fahrende Kleinbus, der fast 13 Monate lang die 700 Meter Uferstraße meist ohne Fahrgäste abfuhr, illustrierte nur den schalen Kompromiss der Römerkoalition, die sich bis heute nicht auf ein überzeugendes Gesamtverkehrskonzept einigen kann. Nun spielt im Vorschlag der CDU der Autoverkehr eine Rolle. Allerdings keine präferierte. Denn das Material, also der Granit, der in einem mit Hell-Dunkel-Kontrast betonten Muster über eine Fläche von insgesamt 4.500 Quadratmeter ausgebreitet wird, wirkt als nivellierendes Element. Die Geometrie weist die Partikularinteressen in ihre Schranken. Der Auto- wie der Fahrradverkehr bekommt jeweils eine Spur, die taktil durch die unterschiedliche Rauheit des Steines zu spüren sind. Der leichte Schwenk nach Norden und massive Bodenwellen bremsen zusätzlich ab.
Und höchstwahrscheinlich ist, dass die vielen zusätzlichen Menschen, die gar nicht in irgendeine Richtung strömen, sondern sich auf dem neugeschaffenen Platz aufhalten wollen, eine aufhaltende Wirkung auf den Verkehr ausüben. Ihnen wird viel geboten. Deutsch hat sich vom mehrfach ausgezeichneten Berta-Kröger-Platz in Hamburg-Wilhelmsburg inspirieren lassen und sehr elegante Sitzstreifen vorgeschlagen, die Anlehn- und Pollerfunktion vereinen und gleichzeitig einen noblen Rahmen für Bäume bieten. Deutsch will darüber hinaus die Hochwassermauern der Wohnbebauung anschütten und bepflanzen. Den Höhepunkt behielt sich die Architektin für die Uferpromenade vor: Zahlreiche Sitzstufen führen direkt in das Wasser. Schon beim Anschauen der Pläne verspürt man die Lust, an einen Sommertag die Füße im Main zu kühlen.
Zur Verkehrswende gehören nicht nur neue Regeln. Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr, dass ohne Beteiligung der Bürger Vorschriften wirkungslos bleiben. Man muss die Bürger begeistern. Die Vision eines sehr attraktiven Platzes am Fahrtor könnte diese Aufgabe erfüllen. Dabei ist ebenso auf das Gesamtkonzept wie auf Details zu achten. Also müsste die Stadt über ihren Schatten springen und endlich mal gute Materialien zum Einsatz bringen - was in Frankfurt selten genug passiert. Der Platz besticht als Versuch, verschiedene Interessen zu respektieren und nicht eine auf Kosten einer anderen zu verdrängen. Auch dies geschieht viel zu selten in Frankfurt.
Enrico Santifaller